65
Ludwig Meidner
Die Notdurft, 1915.
Rohrfederzeichnung
Schätzung:
€ 6.000 Ergebnis:
€ 12.500 (inkl. Käuferaufgeld)
Rohrfederzeichnung über Bleistift
Links unten signiert, rechts unten datiert "Januar 1915". Auf festem Velin. 48,5 x 38,2 cm (19 x 15 in), Blattgröße
PROVENIENZ: Sammlung D. Thomas Bergen, London und New York (Leihgabe an das Art Institute, Chicago).
Galerie Nierendorf, Berlin.
Sammlung Marvin und Janet Fishman.
AUSSTELLUNG: The Graphic Work of Ludwig Meidner. Drawings and Prints from the D. Thomas Bergen Collection, Art Gallery University of Notre Dame, Indiana, 12.11.-24.12.1972, Nr. 12.
Auf Wunsch der Eltern beginnt der junge Meidner zunächst eine Maurerlehre, bricht diese ab und wird 1903 an der Kunst- und Kunstgewerbeschule in Breslau aufgenommen. Meidner verlässt die Schule nach zweieinhalb Jahren und zieht nach Berlin. Bedeutsam für sein späteres Werk ist der Unterricht im Radieren, den er bei dem Künstler Hermann Struck nimmt. In den ersten Berliner Jahren entstehen nur wenige Gemälde - "Industrielle Stadtlandschaften", die formal und farblich den Werken der französischen Fauves nahestehen. Meidner interessiert sich nicht für den ästhetischen Reiz der Bauwerke, sondern für die aggressive Verdrängung der Natur durch die expandierende Großstadt, die er als bedrohlich und unheimlich schildert. 1906 geht Ludwig Meidner für ein knappes Jahr nach Paris, wo er Amedeo Modigliani kennenlernt. Die folgenden Jahre in Berlin sind von existenzieller Finanznot, aber auch intensivem Erleben der expressionistischen Bohème geprägt. Die befreundeten Literaten werden zu bevorzugten Modellen. 1912 ist ein wichtiges Jahr für den Künstler: Er malt die ersten seiner eindringlichen Selbstporträts und "Apokalyptischen Landschaften", gründet zusammen mit Jacob Steinhardt und Richard Janthur die Gruppe "Die Pathetiker", die in Herwarth Waldens "Sturm"-Galerie ausstellt. Hier lernt Meidner Robert Delaunay kennen, dessen orphistische Malweise ihn ebenso inspiriert wie die Kunst der italienischen Futuristen. Von existenziellen Ängsten getrieben, wendet er sich religiösen Bildthemen zu.
Das ungewöhnliche Sujet geht Ludwig Meidner mit einer Fulminanz der Zeichnung an, so dass über einer bewundernswürdigen Zeichentechnik der Gegenstand dieser Arbeit fast ins Hintertreffen gerät. Die intime Situation wird von Meidner in eine tragische Lebenssituation umgedeutet. Wie echt ist die Verzweiflung bei heruntergelassener Hose eines ansonst in seiner korrekten Bürgerlichkeit gefangenen Kleinbürgers. Die zittrige Kerzenflamme des stillen Örtchens beleuchtet ein Bild menschlicher Misere in der Stunde der Wahrheit. Ludwig Meidner erweist sich in dieser großartigen Zeichnung als echter Menschenkenner, der den elementaren Dingen des Lebens nachspürt, um sie auf seine geniale Weise zu interpretieren.
Meidner wird 1916 zum Kriegsdienst eingezogen und dient als Dolmetscher und Zensor in einem Kriegsgefangenenlager. Hier beginnt er zu schreiben. Nach dem Krieg schließt sich Meidner 1918 der "Novembergruppe" und dem revolutionären "Arbeitsrat für Kunst" an. Enttäuscht vom Scheitern der Revolution, zieht sich der Künstler desillusioniert ins Private zurück. Er wendet sich vom Expressionismus ab, der als mittlerweile populäre Kunstrichtung zunehmend kommerziell erfolgreich ist. In Meidners Buch "Eine autobiographische Plauderei" distanziert er sich von seinem Frühwerk, verprellt Weggefährten und Freunde. Religiöse Themen, Landschaften, Stillleben und weiterhin Porträts bestimmen fortan sein Werk. 1933 als "entartet" erklärt und als Jude verfolgt, emigriert der Maler nach England und kehrt erst 1953 nach Deutschland zurück. In einer letzten, sehr produktiven Schaffensphase entwickelt er seinen in den 1920er Jahren gefundenen Stil eines malerischen Realismus weiter. [KD].
Links unten signiert, rechts unten datiert "Januar 1915". Auf festem Velin. 48,5 x 38,2 cm (19 x 15 in), Blattgröße
PROVENIENZ: Sammlung D. Thomas Bergen, London und New York (Leihgabe an das Art Institute, Chicago).
Galerie Nierendorf, Berlin.
Sammlung Marvin und Janet Fishman.
AUSSTELLUNG: The Graphic Work of Ludwig Meidner. Drawings and Prints from the D. Thomas Bergen Collection, Art Gallery University of Notre Dame, Indiana, 12.11.-24.12.1972, Nr. 12.
Auf Wunsch der Eltern beginnt der junge Meidner zunächst eine Maurerlehre, bricht diese ab und wird 1903 an der Kunst- und Kunstgewerbeschule in Breslau aufgenommen. Meidner verlässt die Schule nach zweieinhalb Jahren und zieht nach Berlin. Bedeutsam für sein späteres Werk ist der Unterricht im Radieren, den er bei dem Künstler Hermann Struck nimmt. In den ersten Berliner Jahren entstehen nur wenige Gemälde - "Industrielle Stadtlandschaften", die formal und farblich den Werken der französischen Fauves nahestehen. Meidner interessiert sich nicht für den ästhetischen Reiz der Bauwerke, sondern für die aggressive Verdrängung der Natur durch die expandierende Großstadt, die er als bedrohlich und unheimlich schildert. 1906 geht Ludwig Meidner für ein knappes Jahr nach Paris, wo er Amedeo Modigliani kennenlernt. Die folgenden Jahre in Berlin sind von existenzieller Finanznot, aber auch intensivem Erleben der expressionistischen Bohème geprägt. Die befreundeten Literaten werden zu bevorzugten Modellen. 1912 ist ein wichtiges Jahr für den Künstler: Er malt die ersten seiner eindringlichen Selbstporträts und "Apokalyptischen Landschaften", gründet zusammen mit Jacob Steinhardt und Richard Janthur die Gruppe "Die Pathetiker", die in Herwarth Waldens "Sturm"-Galerie ausstellt. Hier lernt Meidner Robert Delaunay kennen, dessen orphistische Malweise ihn ebenso inspiriert wie die Kunst der italienischen Futuristen. Von existenziellen Ängsten getrieben, wendet er sich religiösen Bildthemen zu.
Das ungewöhnliche Sujet geht Ludwig Meidner mit einer Fulminanz der Zeichnung an, so dass über einer bewundernswürdigen Zeichentechnik der Gegenstand dieser Arbeit fast ins Hintertreffen gerät. Die intime Situation wird von Meidner in eine tragische Lebenssituation umgedeutet. Wie echt ist die Verzweiflung bei heruntergelassener Hose eines ansonst in seiner korrekten Bürgerlichkeit gefangenen Kleinbürgers. Die zittrige Kerzenflamme des stillen Örtchens beleuchtet ein Bild menschlicher Misere in der Stunde der Wahrheit. Ludwig Meidner erweist sich in dieser großartigen Zeichnung als echter Menschenkenner, der den elementaren Dingen des Lebens nachspürt, um sie auf seine geniale Weise zu interpretieren.
Meidner wird 1916 zum Kriegsdienst eingezogen und dient als Dolmetscher und Zensor in einem Kriegsgefangenenlager. Hier beginnt er zu schreiben. Nach dem Krieg schließt sich Meidner 1918 der "Novembergruppe" und dem revolutionären "Arbeitsrat für Kunst" an. Enttäuscht vom Scheitern der Revolution, zieht sich der Künstler desillusioniert ins Private zurück. Er wendet sich vom Expressionismus ab, der als mittlerweile populäre Kunstrichtung zunehmend kommerziell erfolgreich ist. In Meidners Buch "Eine autobiographische Plauderei" distanziert er sich von seinem Frühwerk, verprellt Weggefährten und Freunde. Religiöse Themen, Landschaften, Stillleben und weiterhin Porträts bestimmen fortan sein Werk. 1933 als "entartet" erklärt und als Jude verfolgt, emigriert der Maler nach England und kehrt erst 1953 nach Deutschland zurück. In einer letzten, sehr produktiven Schaffensphase entwickelt er seinen in den 1920er Jahren gefundenen Stil eines malerischen Realismus weiter. [KD].
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Ludwig Meidner
Die Notdurft, 1915.
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