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50
Georg Baselitz
Waldweg, 1974.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 700.000 Ergebnis:
€ 1.345.000 (inklusive Aufgeld)
Waldweg. 1974.
Öl auf Leinwand.
Rechts unten signiert und datiert. 190 x 97 cm (74,8 x 38,1 in). [SM].
• 1969 malt Georg Baselitz mit "Der Wald auf dem Kopf", heute im Museum Ludwig, Köln, erstmals ein Bildmotiv um 180 Grad gedreht auf die Leinwand.
• Werke aus der Serie der "Fingermalereien" wie "Waldweg" (1974) sind äußerst rar und erzielen Spitzenpreise auf dem internationalen Auktionsmarkt.
• Dem Metropolitan Museum of Art in New York schenkt Georg Baselitz 2021 sechs Porträts der späten 1960er Jahre, welche zu diesem Anlass in einer Einzelausstellung gezeigt werden.
• Das Centre Pompidou in Paris widmet Georg Baselitz in diesem Jahr (Oktober 2021 bis März 2022) eine umfassende Retrospektive.
• Ein persönliches Geschenk von Baselitz an seinen Künstlerfreund A. R. Penck.
Die vorliegende Arbeit ist im Archiv Georg Baselitz, München, verzeichnet. Wir danken dem Archiv für die freundliche Auskunft.
PROVENIENZ:
A. R. Penck (als Geschenk vom Künstler).
Galerie Onnasch, Berlin.
First Bank, Minneapolis.
Jan Eric Löwenadler, New York/Stockholm.
Privatsammlung Hamburg.
Galerie Ropac, Salzburg.
Privatsammlung Norddeutschland (vom Vorgenannten erworben).
AUSSTELLUNG:
Georg Baselitz: Paintings Bilder 1962-1988, Runkel-Hue-Williams, Ltd./Grob Gallery, London, 19.9.-2.11.1990, S. 36/37 (Farbabb.) und S. 70 (SW-Abb.).
Andere Ansichten, Galerie Terminus, München, Januar/Februar 2005.
Georg Baselitz, Vonderbank Artgalleries, Berlin, 17.3.-26.4.2006, S. 10 (m. Abb.).
Georg Baselitz. Arbeiten aus europäischen Sammlungen, Galerie Michael Werner, Köln, 9.11.2019-11.1.2020, Kat.-Nr. 38 (m. Abb.).
Georg Baselitz. I Was Born into a Destroyed Order, Michael Werner Gallery, London, 11.9.-5.12.2020, Kat.-Nr. 23, S. 48/49 (m. Abb.).
LITERATUR:
Christie's, London, 24.10.1996, Los 119.
Sotheby's, New York, 14.11.2012, Los 334.
"Die Hierarchie, die den Himmel ganz oben und die Erde ganz unten ansiedelt, ist ohnehin nur eine Konvention. Wir haben uns an sie gewöhnt, aber wir müssen nicht daran glauben. Das Einzige, was mich interessiert, ist die Frage, wie ich weiter Bilder malen kann."
Georg Baselitz
Öl auf Leinwand.
Rechts unten signiert und datiert. 190 x 97 cm (74,8 x 38,1 in). [SM].
• 1969 malt Georg Baselitz mit "Der Wald auf dem Kopf", heute im Museum Ludwig, Köln, erstmals ein Bildmotiv um 180 Grad gedreht auf die Leinwand.
• Werke aus der Serie der "Fingermalereien" wie "Waldweg" (1974) sind äußerst rar und erzielen Spitzenpreise auf dem internationalen Auktionsmarkt.
• Dem Metropolitan Museum of Art in New York schenkt Georg Baselitz 2021 sechs Porträts der späten 1960er Jahre, welche zu diesem Anlass in einer Einzelausstellung gezeigt werden.
• Das Centre Pompidou in Paris widmet Georg Baselitz in diesem Jahr (Oktober 2021 bis März 2022) eine umfassende Retrospektive.
• Ein persönliches Geschenk von Baselitz an seinen Künstlerfreund A. R. Penck.
Die vorliegende Arbeit ist im Archiv Georg Baselitz, München, verzeichnet. Wir danken dem Archiv für die freundliche Auskunft.
PROVENIENZ:
A. R. Penck (als Geschenk vom Künstler).
Galerie Onnasch, Berlin.
First Bank, Minneapolis.
Jan Eric Löwenadler, New York/Stockholm.
Privatsammlung Hamburg.
Galerie Ropac, Salzburg.
Privatsammlung Norddeutschland (vom Vorgenannten erworben).
AUSSTELLUNG:
Georg Baselitz: Paintings Bilder 1962-1988, Runkel-Hue-Williams, Ltd./Grob Gallery, London, 19.9.-2.11.1990, S. 36/37 (Farbabb.) und S. 70 (SW-Abb.).
Andere Ansichten, Galerie Terminus, München, Januar/Februar 2005.
Georg Baselitz, Vonderbank Artgalleries, Berlin, 17.3.-26.4.2006, S. 10 (m. Abb.).
Georg Baselitz. Arbeiten aus europäischen Sammlungen, Galerie Michael Werner, Köln, 9.11.2019-11.1.2020, Kat.-Nr. 38 (m. Abb.).
Georg Baselitz. I Was Born into a Destroyed Order, Michael Werner Gallery, London, 11.9.-5.12.2020, Kat.-Nr. 23, S. 48/49 (m. Abb.).
LITERATUR:
Christie's, London, 24.10.1996, Los 119.
Sotheby's, New York, 14.11.2012, Los 334.
"Die Hierarchie, die den Himmel ganz oben und die Erde ganz unten ansiedelt, ist ohnehin nur eine Konvention. Wir haben uns an sie gewöhnt, aber wir müssen nicht daran glauben. Das Einzige, was mich interessiert, ist die Frage, wie ich weiter Bilder malen kann."
Georg Baselitz
Die Umkehrung des Gewohnten
Als Georg Baselitz im Jahr 1969 mit „Der Wald auf dem Kopf“ ein Bildmotiv erstmals auf der Leinwand um 180 Grad dreht, da wird dies von vielen als künstlerische Provokation verstanden. Fraglos will er den Akt des Malens selbst, aber auch tradierte Sehgewohnheiten radikal in Frage stellen, doch eine Provokation zum Selbstzweck liegt dem Künstler fern. Zu ernst nimmt er die Malerei, ihre lange Geschichte und das enorme Potenzial, das sie in sich trägt. Baselitz sagt später, dass er damals einen Punkt erreicht habe, an dem er die Richtung seiner Malerei ändern wollte. Schon 1964 experimentiert er damit, Motive umzudrehen, zu entdecken etwa in dem Gemälde „Das Kreuz“: Baselitz stellt hier in einer kleinen Szene die Reihe von Häusern auf den Kopf. Und 1968 bindet er einen Waldarbeiter in dem gleichnamigen Gemälde kopfüber an einen Baum, sicherlich eine Reminiszenz an das Martyrium des Apostels Petrus und die christliche Motivwelt der Renaissance. Im folgenden Jahr malt er mit „Der Wald auf dem Kopf“ die erste Komposition, bei der das Motiv vollständig auf dem Kopf steht. Inspiriert hat den Künstler wohl das Gemälde „Wermsdorfer Wald“ von Ferdinand von Rayski (1806-1890) aus dem Jahr 1859 in der Dresdner Gemäldegalerie Neue Meister. Und mit dieser Umkehrung im Bild verbindet Baselitz kunsthistorisch wie malerisch letztlich eine zutiefst nordische Romantik mit der Impulsivität des deutschen Expressionismus.
Das auf dem Kopf stehende Motiv wird von da an das Werk des Künstlers dominieren, eine Form der „Abstraktion“ ohne Zweifel, bei dem das Sujet aber nicht verloren geht. Die Umkehrung war nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes ein revolutionäres Agieren, sondern auch ein Mittel, mit dem Baselitz sich auf abstrakte Qualitäten konzentrieren konnte. „Für mich bestand das Problem darin, keine anekdotischen, deskriptiven Bilder zu schaffen. Andererseits war mir die nebulöse Willkür der Theorie der gegenstandslosen Malerei immer verhasst. Die Umkehrung des Motives im Bild gab mir die Freiheit, mich mit malerischen Problemen auseinanderzusetzen“, so Baselitz (zit. nach: Siegfried Gohr, Über Baselitz. Aufsätze und Gespräche, Köln 1996, S. 60). Und an anderer Stelle wird Baselitz noch deutlicher auf die Frage, warum er die Motive auf den Kopf stellt: „Der Gegenstand drückt gar nichts aus. Die Malerei ist kein Mittel zum Zweck. Im Gegenteil, die Malerei ist autonom. Und ich sagte mir: Wenn das der Fall ist, dann muss ich alles nehmen, was bisher Gegenstand der Malerei war – die Landschaft, das Porträt, den Akt, zum Beispiel – und es auf den Kopf stellen. Das ist der beste Weg, um die Darstellung vom Inhalt zu befreien“ (zit. nach: Franz Dahlem, Georg Baselitz, Köln 1990, S. 88).
Angriff auf die Illusion der Malerei
Die auf dem Kopf stehenden Bilder von Baselitz zeigen eine radikale Abkehr von der Mimesis der abendländischen Malerei, von den Konventionen der Malerei, welche auf die in der Renaissance entwickelten Regeln der Perspektive zurückgehen. Die Illusion, der Betrachter eines Gemäldes sieht ein genaues Abbild der Welt, wird bis in das spätere 19. Jahrhundert aufrechterhalten, bis die Fotografie die gemalte Magie durch ein überzeugenderes Abbild der realen Welt ersetzt. Seit dieser Zeit illusionieren die Maler das Gesehene auf andere Weise, entwickeln Malstile wie den Impressionismus, verlieren sich in der Theorie des Pointillismus und entfalten sich im Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit, versuchen sich schließlich im weiten Feld des Gegenstandslosen. Und dennoch, wie viele Maler des 20. Jahrhunderts auch, sucht Baselitz einen Weg, mit der Tradition zu brechen, Bilder zu malen, ohne den Anschein der Wirklichkeit zu opfern. Und Baselitz fordert hierbei seine Betrachter überzeugend dazu auf, seine auf den Kopf gestellte Welt als neue Bildkonvention zu akzeptieren. Das „auf dem Kopf“ gemalte Bild ist begleitet von dem Effekt, die Bedeutung der Figur aufzuheben, das Motiv von einer gewissen Schwerkraft zu befreien. Nach dieser „Wende“ im Jahr 1969 malt Baselitz eine Serie von auf dem Kopf stehenden Porträts, es folgen Bilder im Bild, in denen ein Bild – in der Regel eine Landschaft – von einem anderen umrahmt wird und so den Bruch mit der konventionellen Malerei fortsetzt.
Das Motiv. Der Wald
Im Jahr 1971 siedelt der Künstler nach Forst an der Weinstraße um, bevor es ihn 1975 dann nach Derneburg zieht. Baselitz experimentiert weiter und sucht nach Möglichkeiten, seine inzwischen charakteristischen Motive in Form, Farbe und Fläche mit verschiedenen Techniken zu gestalten, die bei der Entstehung von Kunst weder dem Thema noch der Malweise im Wege stehen. Hier in seinem neuen Atelier, umgeben von der Natur, entstehen die ersten Fingermalereien. Die Distanzierung vom Motiv geht einher mit einer körperlichen Annäherung an die Malerei. Seine Hände taucht Baselitz in die Farbe und bringt das Bild mithilfe seiner Finger direkt auf die Leinwand. Nichts soll zwischen ihm und der Malerei stehen, nicht einmal der Pinsel. In den kommenden Jahren entstehen mit diesem Effekt herausragende Werke mit beispiellosem Charakter wie „Fingermalerei I – Adler“ (1971/72), „Akt Elke“ (1974) und der furios gemalte „Waldweg“, ein anschauliches, gleichwohl fragmentarisches Motiv ohne konkrete Erzählung und Inhalt. Eine der frühen Fingermalereien, „Fingermalerei – Birken“, aus dem Jahr 1972 ist noch im Entstehungsjahr auf der documenta 5 ausgestellt.
In dem Gemälde „Waldweg“ erfahren wir mit Kobaltblau und intensivem Rot eine Birkenallee auf der schmal gestreckten Leinwand. Die eher ungewöhnlichen Maße des Bildträgers selbst (190 x 97 cm) vermitteln das Gefühl des schmalen Waldwegs, an dessen Wegrändern die hohen und schlanken Birken wachsen. Die Hand des Künstlers bleibt sichtbar und mitunter ziehen seine Finger in schwungvoller Geste durch die Darstellung und lösen die gedrehte Form in Abstraktion auf. Die radikale Wirkung der Motivumkehr wird spürbar, wenn man das Bild einmal um 180 Grad zurück in die naturnahe Ausrichtung bringt. Der schwebende und jeder Verortung enthobene Waldweg wandelt sich umgehend in einen steil ansteigenden Weg, der Schwere und die Anstrengungen einer mühsamen Wanderung vermittelt. Mit dem zweiten Blick auf den „Waldweg“ aber erfährt die Leichtigkeit der Schilderung der Birken gegenüber der Dichte des Waldweges eine versteckte Symbolik: Eine aufgeladene mythologisch-religiöse Ikonografie des Baumes. Doch belässt es Baselitz nicht allein bei der Überzeugungskraft des Malerischen. Die „Umkehrung“ eröffnet dem Künstler auch metaphysische, philosophische und konzeptuelle Bedeutungsebenen. [MvL/SN]
Als Georg Baselitz im Jahr 1969 mit „Der Wald auf dem Kopf“ ein Bildmotiv erstmals auf der Leinwand um 180 Grad dreht, da wird dies von vielen als künstlerische Provokation verstanden. Fraglos will er den Akt des Malens selbst, aber auch tradierte Sehgewohnheiten radikal in Frage stellen, doch eine Provokation zum Selbstzweck liegt dem Künstler fern. Zu ernst nimmt er die Malerei, ihre lange Geschichte und das enorme Potenzial, das sie in sich trägt. Baselitz sagt später, dass er damals einen Punkt erreicht habe, an dem er die Richtung seiner Malerei ändern wollte. Schon 1964 experimentiert er damit, Motive umzudrehen, zu entdecken etwa in dem Gemälde „Das Kreuz“: Baselitz stellt hier in einer kleinen Szene die Reihe von Häusern auf den Kopf. Und 1968 bindet er einen Waldarbeiter in dem gleichnamigen Gemälde kopfüber an einen Baum, sicherlich eine Reminiszenz an das Martyrium des Apostels Petrus und die christliche Motivwelt der Renaissance. Im folgenden Jahr malt er mit „Der Wald auf dem Kopf“ die erste Komposition, bei der das Motiv vollständig auf dem Kopf steht. Inspiriert hat den Künstler wohl das Gemälde „Wermsdorfer Wald“ von Ferdinand von Rayski (1806-1890) aus dem Jahr 1859 in der Dresdner Gemäldegalerie Neue Meister. Und mit dieser Umkehrung im Bild verbindet Baselitz kunsthistorisch wie malerisch letztlich eine zutiefst nordische Romantik mit der Impulsivität des deutschen Expressionismus.
Das auf dem Kopf stehende Motiv wird von da an das Werk des Künstlers dominieren, eine Form der „Abstraktion“ ohne Zweifel, bei dem das Sujet aber nicht verloren geht. Die Umkehrung war nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes ein revolutionäres Agieren, sondern auch ein Mittel, mit dem Baselitz sich auf abstrakte Qualitäten konzentrieren konnte. „Für mich bestand das Problem darin, keine anekdotischen, deskriptiven Bilder zu schaffen. Andererseits war mir die nebulöse Willkür der Theorie der gegenstandslosen Malerei immer verhasst. Die Umkehrung des Motives im Bild gab mir die Freiheit, mich mit malerischen Problemen auseinanderzusetzen“, so Baselitz (zit. nach: Siegfried Gohr, Über Baselitz. Aufsätze und Gespräche, Köln 1996, S. 60). Und an anderer Stelle wird Baselitz noch deutlicher auf die Frage, warum er die Motive auf den Kopf stellt: „Der Gegenstand drückt gar nichts aus. Die Malerei ist kein Mittel zum Zweck. Im Gegenteil, die Malerei ist autonom. Und ich sagte mir: Wenn das der Fall ist, dann muss ich alles nehmen, was bisher Gegenstand der Malerei war – die Landschaft, das Porträt, den Akt, zum Beispiel – und es auf den Kopf stellen. Das ist der beste Weg, um die Darstellung vom Inhalt zu befreien“ (zit. nach: Franz Dahlem, Georg Baselitz, Köln 1990, S. 88).
Angriff auf die Illusion der Malerei
Die auf dem Kopf stehenden Bilder von Baselitz zeigen eine radikale Abkehr von der Mimesis der abendländischen Malerei, von den Konventionen der Malerei, welche auf die in der Renaissance entwickelten Regeln der Perspektive zurückgehen. Die Illusion, der Betrachter eines Gemäldes sieht ein genaues Abbild der Welt, wird bis in das spätere 19. Jahrhundert aufrechterhalten, bis die Fotografie die gemalte Magie durch ein überzeugenderes Abbild der realen Welt ersetzt. Seit dieser Zeit illusionieren die Maler das Gesehene auf andere Weise, entwickeln Malstile wie den Impressionismus, verlieren sich in der Theorie des Pointillismus und entfalten sich im Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit, versuchen sich schließlich im weiten Feld des Gegenstandslosen. Und dennoch, wie viele Maler des 20. Jahrhunderts auch, sucht Baselitz einen Weg, mit der Tradition zu brechen, Bilder zu malen, ohne den Anschein der Wirklichkeit zu opfern. Und Baselitz fordert hierbei seine Betrachter überzeugend dazu auf, seine auf den Kopf gestellte Welt als neue Bildkonvention zu akzeptieren. Das „auf dem Kopf“ gemalte Bild ist begleitet von dem Effekt, die Bedeutung der Figur aufzuheben, das Motiv von einer gewissen Schwerkraft zu befreien. Nach dieser „Wende“ im Jahr 1969 malt Baselitz eine Serie von auf dem Kopf stehenden Porträts, es folgen Bilder im Bild, in denen ein Bild – in der Regel eine Landschaft – von einem anderen umrahmt wird und so den Bruch mit der konventionellen Malerei fortsetzt.
Das Motiv. Der Wald
Im Jahr 1971 siedelt der Künstler nach Forst an der Weinstraße um, bevor es ihn 1975 dann nach Derneburg zieht. Baselitz experimentiert weiter und sucht nach Möglichkeiten, seine inzwischen charakteristischen Motive in Form, Farbe und Fläche mit verschiedenen Techniken zu gestalten, die bei der Entstehung von Kunst weder dem Thema noch der Malweise im Wege stehen. Hier in seinem neuen Atelier, umgeben von der Natur, entstehen die ersten Fingermalereien. Die Distanzierung vom Motiv geht einher mit einer körperlichen Annäherung an die Malerei. Seine Hände taucht Baselitz in die Farbe und bringt das Bild mithilfe seiner Finger direkt auf die Leinwand. Nichts soll zwischen ihm und der Malerei stehen, nicht einmal der Pinsel. In den kommenden Jahren entstehen mit diesem Effekt herausragende Werke mit beispiellosem Charakter wie „Fingermalerei I – Adler“ (1971/72), „Akt Elke“ (1974) und der furios gemalte „Waldweg“, ein anschauliches, gleichwohl fragmentarisches Motiv ohne konkrete Erzählung und Inhalt. Eine der frühen Fingermalereien, „Fingermalerei – Birken“, aus dem Jahr 1972 ist noch im Entstehungsjahr auf der documenta 5 ausgestellt.
In dem Gemälde „Waldweg“ erfahren wir mit Kobaltblau und intensivem Rot eine Birkenallee auf der schmal gestreckten Leinwand. Die eher ungewöhnlichen Maße des Bildträgers selbst (190 x 97 cm) vermitteln das Gefühl des schmalen Waldwegs, an dessen Wegrändern die hohen und schlanken Birken wachsen. Die Hand des Künstlers bleibt sichtbar und mitunter ziehen seine Finger in schwungvoller Geste durch die Darstellung und lösen die gedrehte Form in Abstraktion auf. Die radikale Wirkung der Motivumkehr wird spürbar, wenn man das Bild einmal um 180 Grad zurück in die naturnahe Ausrichtung bringt. Der schwebende und jeder Verortung enthobene Waldweg wandelt sich umgehend in einen steil ansteigenden Weg, der Schwere und die Anstrengungen einer mühsamen Wanderung vermittelt. Mit dem zweiten Blick auf den „Waldweg“ aber erfährt die Leichtigkeit der Schilderung der Birken gegenüber der Dichte des Waldweges eine versteckte Symbolik: Eine aufgeladene mythologisch-religiöse Ikonografie des Baumes. Doch belässt es Baselitz nicht allein bei der Überzeugungskraft des Malerischen. Die „Umkehrung“ eröffnet dem Künstler auch metaphysische, philosophische und konzeptuelle Bedeutungsebenen. [MvL/SN]
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Georg Baselitz
Waldweg, 1974.
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