Auktion: 538 / 19th Century Art am 10.06.2023 in München Lot 605

 

605
Caspar David Friedrich
Wiese in Teplitz, 1835.
Bleistiftzeichnung
Schätzung:
€ 15.000
Ergebnis:
€ 63.500

(inklusive Aufgeld)
Wiese in Teplitz. 1835.
Bleistiftzeichnung.
Grummt 960. Am unteren Rand bezeichnet "Teplitz den 3t September 1835". Auf Velin. 13,1 x 20,2 cm (5,1 x 7,9 in), Blattgröße.

• Aus dem Skizzenbuch Friedrichs, der 1835 in Teplitz in Nordböhmen einen Kuraufenthalt verbringt.
• Faszinierender Einblick in die Arbeitsweise des Künstlers, der seine Gemälde aus der Sammlung der Zeichnungen komponiert.
• Nur 13 Blätter des Skizzenbuches sind bisher bekannt.
• Weitere Blätter des Skizzenbuches befinden sich in den Sammlungen des Nasjonalmuseet for kunst, arkitektur og design, Oslo, den Staatlichen Kunstsammlungen/Kupferstichkabinett Dresden, des Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg und der Kunsthalle Mannheim
.

PROVENIENZ: Kunstausstellung Kühl, Dresden (1928).
Sammlung Wolfgang Jess (1885- vermisst 1945), Dresden (1928 vom Vorgenannten erworben).
Nachlass Wolfgang Jess (seither in Familienbesitz).

AUSSTELLUNG: Caspar David Friedrich: der Graphiker. Handzeichnungen und Radierungen, Kunstausstellung Kühl, Dresden, April-Mai 1928, Nr. 109.

LITERATUR: Sigrid Hinz, Caspar David Friedrich als Zeichner. Ein Beitrag zur stilistischen Entwicklung der Zeichnungen und ihrer Bedeutung für die Datierung der Gemälde, Diss., Greifswald 1966, S. 81, Anm. 2, Kat.-Nr. 759.
Werner Sumowski, Caspar David Friedrich-Studien, Wiesbaden 1970, S. 132, Anm. 683.
Marianne Bernhard (Hg.), Caspar David Friedrich. Das gesamte graphische Werk, München 1974, S. 862.

Das Blatt ist Bestandteil eines Skizzenbuches, das Christina Grummt bei der Bearbeitung der Zeichnungen Friedrichs aufgrund gemeinsamer Mekmale erschlossen und dem sie die Bezeichnung „Teplitzer Skizzenbuch von 1835“ gegeben hat. Sie hatte insgesamt 13 Blätter als zugehörig erkannt, die heute in verschiedenen Sammlungen aufbewahrt werden (Dresden, Kupferstichkabinett; Mannheim, Kunsthalle; Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum; Oslo, Nationalgalerie). Nur von einem Blatt, dessen Existenz durch frühere Nennungen in der Literatur abgesichert war, waren weder der Standort noch eine Abbildung bekannt. Es ist als ein großer Glücksfall anzusehen, dass gerade dieses Blatt jetzt in einer norddeutschen Privatsammlung aufgetaucht ist und hier vorgestellt werden kann.
Mit einer Blattgröße von ca. 13 x 20 cm handelt es sich um ein mittelgroßes der von Friedrich verwendeten Skizzenbücher. Wahrscheinlich wurde es bereits zu einem frühen Zeitpunkt, das heißt bald nach Friedrichs Tod, aufgelöst. Denn fünf Blätter stammen aus dem Nachlass Johan Christian Dahls (Grummt 957, 958, 962, 967 und 968; jeweils 1903 erworben) und sechs aus Familienbesitz (Grummt 959, 961, 963, 965, 966, 969; erworben 1916 und 1931). Ein Blatt (Grummt 964) erwarb das Dresdner Kupferstichkabinett 1928 von der Dresdner Kunsthandlung Heinrich Kühl. Die Galerie Kühl hatte in diesem Jahr eine umfangreiche Ausstellung mit Zeichnungen und Druckgraphik von Friedrich veranstaltet, auf der das gekaufte Blatt unter der Nummer 110 und das jetzt neu aufgefundene Blatt unter der Nummer 109 mit dem Titel „Wiese in Teplitz“ und der Datierung „3. September 1835“ aufgeführt war. Die von fremder Hand auf den Blättern der Sammlung Dahl eingetragenen Nummern (17, 18, 19, 21, 23) könnten darauf hindeuten, dass weitere, nicht bekannt gewordene Blätter existierten.
Am 3. September 1840, knapp vier Monate nach Friedrichs Tod (7. Mai), schickte seine Witwe Caroline einige kleine Bleistiftzeichnungen an den Neffen Heinrich Friedrich in Greifswald mit der Bitte, sie „unter Alt und jung, wo Du auch mit darunter bist, als letztes Andenken von des Vaters Arbeiten zu vertheilen, besonders sind noch etliche von dem Jahre 1835 dabey als Du bey uns wahrest, und wir dann nach Teplitz reisten, er hat es selbst noch bemerkt, wel[c]he Tage es gezeichnet ist.“ Es ist anzunehmen, dass es sich hierbei zumindest teilweise um Blätter aus dem „Teplitzer Skizzenbuch“ handelt.
Anlass für den Aufenthalt in Teplitz war ein Schlaganfall, den Friedrich am 26. Juni 1835 erlitten hatte. In einem Brief vom 17. Juli schreibt er darüber: „Ich war oder bin wie vom Schlage plötzlich getroffen worden. Die Zunge war wie gelä[h]mt und ich vermochte nur undeutlich zu sprechen [..] der rechte Arm und vorzüglich das rechte Bein war ganz unbrauchbar [..].” Zwei Wochen lang war er bettlägerig, versuchte, sich zu beschäftigen, war jedoch nicht in der Lage, an der Staffelei zu stehen. Auf Anraten seines Arztes folgte dann der knapp sechswöchige Kuraufenthalt in Teplitz vom 19. August bis gegen Ende September 1835. Mit der ganzen Familie nahm er Unterkunft in dem Gasthaus „Goldene Harfe“ in der Badgasse (heute „Zlatá harfa“ in der Lázenská ulicka 73).
Die erste nachweisbare Zeichnung während des Kuraufenthalts und zugleich die erste datierte Zeichnung nach dem Schlaganfall ist das Blatt „Wanderer auf Gebirgsweg“ vom 2. September (Grummt 957). Es zeigt den Blick von einer Anhöhe im Westen von Teplitz zum böhmischen Erzgebirgskamm. Das letzte Blatt (alle sind datiert) stammt vom 23. September. Es sind durchweg Bleistiftzeichnungen; eine ist aquarelliert (Grummt 961); auf einer anderen (Grummt 969) hat Friedrich auch weiße Kreide benutzt.
Das auf der „Wiese in Teplitz“ dargestellte Motiv entstammt sicher der näheren Umgebung der Stadt, lässt sich aber ebenso wie die meisten anderen Ansichten nicht mehr genauer lokalisieren, weil das gesamte Teplitzer Umfeld durch Überbauung und Braunkohleabbau seither völlig verändert ist (freundlicher Hinweis Frank Richter, Dresden). Drei weitere Blätter des Skizzenbuchs zeigen ähnliche Situationen mit nahsichtig dargestellten Felsbrocken, die Friedrich offenbar besonders interessiert haben. Auf zweien dieser anderen Blätter hat er ausdrücklich die Gesteinsart „Granit“ notiert (Grummt 964 und 965).
An der „Wiese in Teplitz“ lassen sich sehr gut Friedrichs neugewonnene zeichnerische Fähigkeiten ablesen. Der Vortrag ist relativ weich, aber sicher und keineswegs zitterig. Form und Oberfläche der Felsen sowie Licht- und Schattenpartien sind bei aller summarischen Strichführung deutlich herausgearbeitet. Es wird verständlich, dass Friedrich nach Ende des Aufenthalts die Hoffnung hegte, bald wieder in größerem Umfang künstlerisch arbeiten zu können. In einem Brief von Ende September an seinen Neffen Heinrich schreibt er, er sei jetzt „ziemlich gut auf den Füßn“ und hoffe, dass ihn die Nachwirkungen des Bades auch wieder zur Arbeit mit der Hand fähig machten. Das wenige, das er „der halb lamen Hand wegen“ habe machen können, könne dennoch für ihn von Nutzen sein, wenn er „je die Fähigkeit wieder erlangen werde mahlen zu können“.
Die letzte Bemerkung führt zu einer Frage, die aufgrund des Fehlens einer Abbildung bisher nicht beantwortet werden konnte. Sigrid Hinz, die das Blatt vorher gesehen haben muss, behauptet in ihrer Dissertation von 1966, das Blatt sei für die unvollendete Osloer Riesengebirgslandschaft (BS 419) sowie „bedingt“ auch für das Hamburger Ölbild „Sturzacker“ (BS 390) verwendet worden. In seinem Werkkatalog der Gemälde von 1973 lehnt Helmut Börsch-Supan beide Verwendungen ohne nähere Erläuterung ab. Was das Osloer Bild betrifft, lässt sich jedoch feststellen, dass dort im Mittelgrund der zentrale Felsblock der Zeichnung tatsächlich auftaucht, wenn auch seitenverkehrt. Da es sich jedoch nur um eine grobe Ähnlichkeit handelt, ist nicht völlig auszuschließen, dass es sich um eine zufällige Ähnlichkeit handelt. Weniger Anhaltspunkte gibt es für eine Verwendung für den „Sturzacker“. In Frage käme allenfalls der ferne Bergrücken ganz links auf dem Ölbild, doch ist die Korrespondenz mit den fernen Bergzügen auf der Zeichnung nicht eng genug, um von einer bewussten Verwendung auszugehen. Auch die vereinzelt umherliegenden Steine reichen hierfür nicht aus.
Die Rückseite zeigt eine nur in Ansätzen ausgeführte Landschaftsskizze mit einem Ausblick auf eine Bergkette, vermutlich den Erzgebirgskamm.

Prof. Dr. Reinhard Zimmermann



605
Caspar David Friedrich
Wiese in Teplitz, 1835.
Bleistiftzeichnung
Schätzung:
€ 15.000
Ergebnis:
€ 63.500

(inklusive Aufgeld)