Auktion: 570 / Evening Sale am 06.06.2025 in München Lot 124001355

 

124001355
Alexej von Jawlensky
Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff, 1913.
Öl auf Papier, auf Malkarton kaschiert
Schätzpreis: € 1.500.000 - 2.500.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff. 1913.
Öl auf Papier, auf Malkarton kaschiert.
Rechts oben signiert und datiert. 55,5 x 51 cm (21,8 x 20 in). [JS].


• "Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff" (1913) entsteht auf dem Höhepunkt des "Blauen Reiter" und der europäischen Moderne, es zählt zu Jawlenskys bedeutenden und raren Sacharoff-Porträts.
• Fesselnde Aura im Licht der Bühne: Der intensive Blick und die exzentrische Inszenierung des androgyn auftretenden Star-Tänzers faszinieren den Maler zutiefst.
• Das Jahr 1913: Jawlensky malt seine gewaltigen Köpfe, Marc den "Turm der blauen Pferde", Kirchner seine "Berliner Straßenszenen" und Schiele seine besten Selbstporträts auf Papier.
• Nach seinem berühmten Sacharoff-Porträt (1909, Lenbachhaus München) malt Jawlensky 1913 zwei eng verwandte expressionistische Köpfe nach dem Modell des Tänzers: den vorliegenden "Kopf in Bronzefarben" und das "Bildnis Sacharoff", heute Teil der bedeutenden Jawlensky-Sammlung im Museum Wiesbaden.
• Bereits 1914 auf der ersten Ausstellung der Neuen Münchener Secession ausgestellt.
• Publiziert u. a. im Katalog der großen Expressionismus-Ausstellung "Dresden–München–Berlin" in Paris neben Meisterwerken von Kandinsky, Marc, Macke und Kirchner.
• Bedeutende Provenienz: aus dem Besitz des Jawlensky-Freundes und Kunstkenners Edmund Fabry, anschließend Teil der Expressionismus-Sammlung Dr. Hans Lühdorf, Düsseldorf, und zuletzt seit fast 25 Jahren in einer hochkarätigen deutschen Privatsammlung
.

Wir danken Frau Angelica Jawlensky-Bianconi, Alexej von Jawlensky-Archiv S.A., Muralto/Schweiz, für die freundliche Auskunft.

PROVENIENZ: Atelier des Künstlers (bis 1921).
Sammlung Edmund Fabry (1892-1939), Wiesbaden (im Januar / Februar 1921 vom Vorgenannten erworben).
Anna Marie Fabry, geb. Meyer, wiederverheiratete Weinschenk/Weinschenck (1905-1978), Wiesbaden (vom Vorgenannten, bis Sommer 1950).
Sammlung Dr. Hans Lühdorf (1910-1983), Düsseldorf (im Sommer 1950 durch Vermittlung von Eberhard Freiherr Schenk zu Schweinsberg von der Vorgenannten erworben, bis 1983).
Nachlass Dr. Hans Lühdorf (bis 1984: Christie's).
Francis Lombrail, Paris (bis 1990: Champin-Lombrail-Gautier).
Wohl Privatsammlung Paris.
Galerie Thomas, München.
Privatsammlung Deutschland (2000 vom Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG: Neue Münchener Secession - Erste Ausstellung, Galeriestraße 26, München, 30.5.-1.10.1914, Kat.-Nr. 63 (m. Abb.).
Alexej von Jawlensky, Wanderausstellung 1920/21 (zahlreiche deutschlandweite Stationen in wechselnder Werkzusammenstellung, hiervon mindestens: Frankfurt, Kunstsalon Ludwig Schames, November 1920, und Wiesbaden, Neues Museum, Januar 1921).
Alexej von Jawlensky, Kunstverein Frankfurt, 16.9.-22.10.1967; Kunstverein Hamburg, 28.10.-3.12.1967, Kat.-Nr. 32 (m. Abb.).
Selection One. VII Expressionnismes, Galerie Fabien Boulakia, Paris, 1987 (m. Abb. S. 31).
Alexej von Jawlensky, Pinacoteca Comunale, Casa Rusca, Locarno, 3.9.-19.11.1989; Kunsthalle Emden, Stiftung Henri Nannen, Emden, 3.12.1989-23.2.1990, Kat.-Nr. 57 (m. Abb. S. 98).
Alexej Jawlensky. Eine Ausstellung zum 50. Todesjahr, Galerie Thomas, München, 1990/91, Kat.-Nr. 15 (m. Abb.).

LITERATUR: Maria Jawlensky, Lucia Pieroni-Jawlensky, Angelica Jawlensky, Alexej von Jawlensky. Catalogue Raisonné of the Oil Paintings, Bd. 1: 1890-1914, München 1991, WVZ-Nr. 602 (m. Abb. S. 466).
- -
Ewald Rathke, Alexej Jawlensky, Hanau 1968, Nr. 32 (m. Abb.).
Donald E. Gordon, Modern Art exhibitions 1900-1916. Selected catalogue documentation, München 1974, Kat.-Nr. 15 (m. Abb.).
Christie's London, 3.12.1984, Los 36 (m. SW-Abb.).
Champin-Lombrail-Gautier, Enghien-les-Bains, 21.6.1990, Los 17 (m. Abb.).
Angelica Jawlensky, L'ovale mistico, FMR, Mailand, Februar 1991 (m. Abb. S. 111).
Dresden-Munich-Berlin. Figures du Moderne. L'Expressionnisme en Allemagne 1905-1914, Musée d'Art Moderne de la Ville de Paris, 1992/93, Kat.-Nr. 225 (m. Abb. S. 235)
Bernd A. Gülker, Die verzerrte Moderne. Die Karikatur als populäre Kunstkritik in deutschen satirischen Zeitschriften, Münster 2001, S. 38 (m. Abb. 43, S. 153).
Gottlieb Leinz, Das Jahr 1913. Skulptur als Form und Farbe, in: Alexej von Jawlensky-Archiv S. A., Reihe Bild und Wissenschaft. Forschungsbeiträge zu Leben und Werk Alexej von Jawlensky, Bd. 2, Locarno 2005, S. 93 (m. SW-Abb. Nr. 3).

"Der 'Kopf in Bronzefarben' stellt zweifelsohne das formatgleiche Pendant zum Wiesbadener 'Bildnis Sacharoff' dar, das ebenfalls 1913 ausgeführt wurde. [..] Auch wenn unklar bleibt, welches von beiden Gemälden als erstes entstanden ist, müssen sie in geringem zeitlichem Abstand gemeinsam in einem perfekten Moment gemalt worden sein."
Dr. Roman Zieglgänsberger, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Alexej von Jawlensky-Archivs, Muralto/Schweiz.

"[..] ein unvergleichliches Jahr, in dem unsere Gegenwart beginnt: 1913. In Literatur, Kunst und Musik werden die Extreme ausgereizt, als gäbe es kein Morgen."
Florian Illies, 1913. Der Sommer des Jahrhunderts, Frankfurt a. Main 2013, Klappentext.


"Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff" (1913) – Der perfekte Moment

Der Expressionist Alexej von Jawlensky, der den "Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff" sehr geschätzt haben muss, weil er das Bild sogleich nach seiner Entstehung auf einer wichtigen Ausstellung im Jahr 1914 in der Münchner Secession präsentierte, ist für seine "laute", offensive Farbigkeit berühmt. Dass der Künstler auch die "leisen" Töne, die vielleicht viel schwieriger zusammenzustellen sind – weil er sehr genau wusste, dass nicht alles, was bunt ist, zugleich auch farbig ist –, aufs Delikateste beherrschte, wird an diesem Gemälde sofort ersichtlich. Dazu muss man wissen, dass Jawlensky um 1913 ganz bewusst seine kräftige Farbpalette dämpfte, um Bilder zu schaffen, die einen tieferen, sonoren Klang besitzen und hierdurch beim Betrachtenden wie in einer Echokammer nachzuhallen und bleibende Wirkung zu entfalten vermögen. So ist es auch mit dem bronzefarbenen Kopf, der vor blaugrauem Hintergrund mit seinen vielen belebenden grünen und bordeauxroten Einsprengseln nahezu das gesamte Bild ausfüllt. Der dunkle Kopf wirkt so auf angenehme Weise bedeutend. Dass er nicht mächtig oder gar bedrohlich erscheint, liegt allein an den zurückgenommenen, lediglich an seiner rechten Wange spannungsvoll aus dem Dunkel heraus aufblitzenden, fast glitzernd-gleißenden Farben und natürlich an der Tatsache, dass ein Denker in der klassischen Pose des Melancholikers mit auf die Hand gestütztem Haupt wiedergegeben wurde.
Doch wie kommt es dazu, dass heute in dem "Kopf in Bronzefarben" einer der ganz wenigen Duz-Freunde des Künstlers, der Tänzer Alexander Sacharoff, zu erkennen ist? Beispielsweise wurde ein anonymes "Knabenbildnis" nach Identifizierung des Neffen von Marianne von Werefkin zu "Nikita" umbenannt. Oder das 1954 vom Museum Wiesbaden von der berühmten Kunsthändlerin Hanna Bekker vom Rath erworbene "Männerbildnis" wurde vom ersten Jawlensky-Biografen Clemens Weiler (vermutlich in Absprache mit dem Sohn des Künstlers Andreas Jawlensky) zum "Bildnis Sacharoff". Da der "Kopf in Bronzefarben" zweifelsohne das größengleiche Pendant zu diesem Wiesbadener Sacharoff darstellt und zudem im selben Jahr ausgeführt wurde, ist es mehr als gerechtfertigt, das Gemälde ebenfalls als "Bildnis Sacharoff" zu betiteln, zumal der Tänzer bei Jawlensky und Werefkin in der Giselastraße 23 in München/Schwabing ein- und ausgegangen ist. Auch wenn unklar bleibt, welches von beiden Gemälden als erstes entstanden ist, müssen sie, so nah wie sie sich stehen und in der Qualität beide als vorzüglich einzuschätzen sind, in geringem zeitlichem Abstand, fast, so wirkt es, gleichzeitig nebeneinander, gemeinsam in einem perfekten Moment gemalt worden sein.

Damit ist einmal mehr der Beweis erbracht, dass Jawlensky schon vor dem Ersten Weltkrieg in Versionen dachte, die sich später zu seinen großen Serien der "Abstrakten Köpfe" (ab 1918) oder "Meditationen" (ab 1934) entwickelten. Zwar sind beide Bilder hier noch als selbstständige Meisterwerke gedacht, aber es gibt eben auch bereits ein das jeweilig andere ergänzende, "mitdenkende" Partnerbild. Während der kantig-antikisch wirkende, im Profil dargestellte Wiesbadener Sacharoff etwas in geistiger Ferne noch gedanklich präzisieren zu versuchen scheint, kommt der auf angenehme Weise sich im Quadrat "rund" einfügende, frontal gegebene, bronzefarbene Sacharoff mit seinen schmalen gelben Augen dem Inbegriff eines allgemein sinnenden Menschen nahe.

Dr. Roman Zieglgänsberger

Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Alexej von Jawlensky-Archivs, Muralto/Schweiz, Kustos für Klassische Moderne, Museum Wiesbaden


Alexej von Jawlensky, Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff, 1909, Öl auf Malkarton, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München.


Alexander Sacharoff, München, um 1910.


Alexej von Jawlensky, Bildnis Sacharoff, 1913, Öl auf Malkarton, Museum Wiesbaden.


Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff“: Ein expressionistisches Meisterwerk

Auf dem Höhepunkt der europäischen Moderne malt Alexej von Jawlensky 1913 seinen fesselnden „Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff“, ein herausragendes Beispiel expressionistischer Malerei: In kraftvolle schwarze Konturen hat Jawlensky ein glühendes Farbspiel aus leuchtenden Türkis-, Purpur- und Bronzetönen mit dramatischen hellen Akzenten gesetzt. Von einer fesselnden Intensität ist der Blick der in funkelndem Gelb auf den Malgrund gesetzten, stark stilisierten, mandelförmigen Augen. Diesen farb- und formgewaltigen Kopf Jawlenskys umgibt eine geheimnisvolle Aura, die den Betrachter unweigerlich in Bann zieht. Im direkten Umfeld des „Blauen Reiter“ entstanden, zeugt „Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff“ von der ungemeinen künstlerischen Radikalität und Progressivität dieser kunsthistorisch bedeutenden Phase. Die Suche nach vollkommen neuen künstlerischen Ausdrucksformen ist für die europäische Avantgarde kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges prägend. Ausgehend von den gemeinsamen Malaufenthalten mit Wassily Kandinsky, Gabriele Münter und Marianne von Werefkin in Murnau, zählt Jawlensky fortan zu den expressionistischen Künstlern in direktem Umfeld des „Blauen Reiter“, jener avantgardistischen Künstlervereinigung, die im Dezember 1911 nach dem Austritt von Wassily Kandinsky und Franz Marc aus der „Neuen Künstlervereinigung München“ ins Leben gerufen wird.
Kurz und intensiv ist diese Zeit: Lediglich zweieinhalb Jahre hat der „Blaue Reiter“ Bestand, löst sich bereits im Sommer 1914 mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges wieder auf. Aber gerade diese enorme zeitliche Komprimierung hat künstlerisch Gewaltiges entstehen lassen: In dieser kurzen Zeitspanne ist es gelungen, zu vollkommen neuartigen Ausdrucksformen zu gelangen, der Malerei ein neuartiges, expressives Potenzial zu erschließen, welches die Kunst der europäischen Moderne fortan in entscheidender Weise prägen sollte. Für das zeitgenössische ästhetische Empfinden, das vorrangig von der Malerei des Jugendstils und des Impressionismus geprägt war, ist diese vom Naturvorbild emanzipierte, emotional aufgeladene Malerei Jawlenskys und seiner Weggefährten bei Weitem zu viel. Heute hingegen gelten diese von allen Konventionen losgelösten, progressiven künstlerischen Wege, die damals beschritten wurden, als eines der bedeutendsten Kapitel, das die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts zu bieten hat.
Kurz und intensiv ist diese Zeit: Lediglich zweieinhalb Jahre hat der „Blaue Reiter“ Bestand, löst sich bereits im Sommer 1914 mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges wieder auf. Aber gerade diese enorme zeitliche Komprimierung hat künstlerisch Gewaltiges entstehen lassen: In dieser kurzen Zeitspanne ist es gelungen, zu vollkommen neuartigen Ausdrucksformen zu gelangen, der Malerei ein neuartiges, expressives Potenzial zu erschließen, welches die Kunst der europäischen Moderne fortan in entscheidender Weise prägen sollte. Für das zeitgenössische ästhetische Empfinden, das vorrangig von der Malerei des Jugendstils und des Impressionismus geprägt war, ist diese vom Naturvorbild emanzipierte, emotional aufgeladene Malerei Jawlenskys und seiner Weggefährten bei Weitem zu viel. Heute hingegen gelten diese von allen Konventionen losgelösten, progressiven künstlerischen Wege, die damals beschritten wurden, als eines der bedeutendsten Kapitel, das die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts zu bieten hat.

Das Jahr 1913 – Höhepunkt der europäischen Moderne

Es ist das Jahr 1913, in dem Jawlensky seinen fesselnden expressionistischen "Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff" inspiriert von der faszinierenden Persönlichkeit des avantgardistischen Star-Tänzers Alexander Sacharoff malt. Das Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in dem der Expressionismus nicht nur in München, sondern auch in den Metropolen Berlin und Wien seinen absoluten Höhepunkt erreicht. Das Jahr, in dem Franz Marc, der im Ersten Weltkrieg mit gerade 36 Jahren bei Verdun sein Leben lassen sollte, sein berühmtes und bis heute verschollenes Gemälde "Der Turm der Blauen Pferde" malt, und Ernst Ludwig Kirchner, von Dresden in die Kunstmetropole Berlin übergesiedelt, mit seinen berühmten "Berliner Straßenszenen" beginnt. In Wien setzt Egon Schiele, der in seinem Schaffen den entscheidenden Wendepunkt vom Jugendstil zum Expressionismus vollzogen hat, in diesem Jahr seine stärksten Selbstporträts aufs Papier.
Das Jahr 1913 gilt nicht nur in der Kunst, sondern auch in Literatur und Musik als der entscheidende Kulminationspunkt der Moderne, ein faszinierendes intellektuelles Phänomen unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, dem der Kunsthistoriker und Journalist Florian Illies mit "1913. Der Sommer des Jahrhunderts" ein ganzes Buch gewidmet hat. All jenen Strömungen des Jahres 1913 gemein ist das intensive Verlangen nach vollkommen neuartigen künstlerischen Ausdrucksformen, nach einer intensiven Durchdringung von emotionalem Empfinden und künstlerischer Form, ein Bestreben, das in Jawlenskys gewaltigen Köpfen unmittelbar Ausdruck findet. "Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff" aber ist aufgrund seiner außerordentlichen expressionistischen Stärke und emotionalen Tiefe darüber hinaus eine der stärksten Kompositionen, welche Jawlensky in diesem herausragenden Jahr geschaffen hat.

Franz Marc, Der Turm der blauen Pferde, 1913, oil on canvas, missing since 1945.


Egon Schiele, Selbstporträt mit orangener Jacke, 1913, Aquarell auf Papier, Albertina, Wien.


Jawlensky und Sacharoff – Freundschaft, Faszination und Inspiration

Zwischen Jawlensky und dem avantgardistischen Ausdruckstänzer Alexander Sacharoff entwickelt sich ab 1905 eine intensive Freundschaft. In seinen Lebenserinnerungen hat Jawlensky festgehalten: "Wir waren mehrere Jahre immer zusammen und er fast täglich bei uns. Die Jahre der Freundschaft waren sehr interessant, da Sacharoff ein intelligenter, geistreicher, feinfühlender und begabter Mensch ist. [..] Ich habe immer gesehen, wie er tanzte. Er liebte und verstand meine Kunst sehr gut." (Zit. nach: Lebenserinnerungen, in: A. v. J. Reisen. Freunde. Wandlungen, Museum am Ostwall, Dortmund 1998, S. 113)
Im Konzertsaal des Münchner Königlichen Odeon bringt Sacharoff 1910 seine ersten Aufsehen erregenden Ausdruckstänze in selbst entworfenen Kostümen auf die Bühne, die Musik komponiert der Russe Thomas von Hartmann, später Autor im Almanach des "Blauen Reiter". Die Münchner "Neuesten Nachrichten" berichten am 4. Juni 1910 über den ersten Auftritt: "Der Saal war gut besetzt, namentlich von Damen, die russische und Schwabinger Kolonie schien vollzählig versammelt. Das Podium war mit schwarzem Tuch ausgeschlagen und mit schwarzen Draperien geteilt. Hinter dem Behang spielte ein vorzügliches Streichquartett und Harfe, auf die Bühne trat Alexander Sacharoff, der neue Tanzkünstler." (Zit. nach: Bernd Fäthke, Jawlensky und seine Weggefährten im neuen Licht, München 2004, S. 132)

Alexander Sacharoff, um 1912, Foto: Hans Holdt, Deutsches Tanzarchiv, Köln.

Während die unvorbereiteten Zuschauer und die Presse teils von den modernen Tanzvorführungen und der Androgynität des Tänzers schockiert waren, zeigt sich die Münchner Avantgarde fortan fasziniert von Sacharoffs progressiver Tanzkunst, bei der nicht eine feste Choreografie, sondern vielmehr der ungezwungene und unmittelbare Ausdruck emotionalen Empfindens von zentraler Bedeutung ist, ein Bestreben, das auch in Jawlenskys Malerei dieser Jahre von zentraler Bedeutung ist. Auch der Salon von Jawlenskys Lebensgefährtin Marianne von Werefkin in der Schwabinger Giselastraße, damals ein Zentrum der künstlerischen Avantgarde, bot eine reichhaltige intellektuelle Inspirationsquelle für Jawlenskys Malerei: "In ihrem Salon traf sich die Münchner Kolonie russischer Aristokraten und Künstler. [..]. Man sprach ausschließlich über Kunst. Ich fühlte, daß man nur dafür lebte", erinnert sich die junge Ausdruckstänzerin Clotilde von Derp, die spätere Ehefrau Alexander Sacharoffs (zit. nach: Frank M. Peter, Rainer Stamm, Die Sacharoffs. Zwei Tänzer aus dem Umkreis des Blauen Reiter, Bremen 2002, S. 161). In "Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff" findet nicht nur Jawlenskys tiefe Bewunderung und freundschaftliche Verbundenheit zu Sacharoff unmittelbaren Ausdruck, sondern auch seine Begeisterung für das Neue, das Exotische und die wechselvolle Selbstinszenierung, wie sie für Sacharoffs avantgardistische Tanzaufführungen dieser Jahre charakteristisch ist. Auf dem Höhepunkt der europäischen Moderne verschmilzt Jawlensky in dieser fesselnden Komposition seine Begeisterung für Sacharoff und den modernen Ausdruckstanz auf faszinierende Weise mit seiner form- und farbgewaltigen Ausdrucksmalerei. Ihre enorme künstlerische Qualität liegt in der spannungsvollen Gratwanderung zwischen Figuration und Abstraktion, zwischen porträthaften Elementen und freier farb- und formbasierter Stilisierung. "Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff" ist kein Porträt im klassischen Sinne, es ist vielmehr ganz im Sinne des Expressionismus der unmittelbare malerische Ausdruck von Jawlenskys geistig-emotionalem Empfinden als Protagonist der europäischen Moderne in jenem künstlerisch so bedeutenden Jahr 1913. [MvL/JS]

Alexej von Jawlensky, Tanzposen Alexander Sacharoff, 1912, Bleistift auf Papier, Privatbesitz, Museum Wiesbaden.


„Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff“ und die skandalisierte Moderne

Der Skandal schien perfekt: Jawlenskys „Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff“ ist einer der künstlerischen Protagonisten in einer 1915 erschienenen Karikatur zur ersten Ausstellung der Neuen Münchener Secession (1914): Unter der Überschrift "In einer modernen Ausstellung" hängt das so beeindruckende wie offensichtlich herausfordernde Gemälde aus dem Jahr 1913 vis-à-vis von Piet Mondrians „Blühenden Bäumen“ und weiteren Werken niederländischer Künstler, die jedoch nicht in München, sondern bereits 1912 in der zweiten Ausstellung des „Moderne Kunst Kring“ im Stedelijk Museum in Amsterdam zu sehen waren. Dem Karikaturisten und Gründungsmitglied der Münchener Secession, Eugen Kirchner, ist das einerlei: Er blendet die beiden Ausstellungsereignisse übereinander und lässt seinem beißenden Spott freien Lauf, wenn er den Museumsdiener angesichts der für ihn unverständlichen Ästhetik vor sich hinmurmeln lässt: „Jeden Tag steht dieser Herr vor dem verrückten Bild [=Mondrian]; entweder er ist selber verrückt, oder er hat es gemalt!“
„Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff“ wird in dieser Karikatur nicht nur zitiert, sondern auch selbst karikiert: Wenn der Zeichner Kirchner den Kopf des stadtbekannten Tänzers auf einem nackten Oberkörper zeigt, diese damit erotisch verballhornte Szene mit einem hinzugefügten Kussmund in der rechten oberen Bildecke ergänzt, wird die Kritik und Animosität nicht nur gegenüber der Moderne, sondern auch am Werk Jawlenskys gezielt herausgestellt. „Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff“ wird hier zu einem prominenten Beispiel der skandalisierten Moderne.
Als „Nachschleicher der Kunst“ werden die Mitglieder der 1913 gegründeten Neuen Münchener Secession bezeichnet, ein geübter Vorwurf, auf den der Kunsthistoriker, Schriftsteller und Journalist Georg Jakob Wolf in der Zeitschrift „Die Kunst für alle“ eingeht und weiter ausführt: „in der Protestliste, die im Kunstverein auslag, standen Dinge, die zwar ehrlich gemeint sein mochten, aber den Boden der Sachlichkeit allzu unbesorgt verließen. Vor allem ist es falsch, in den Mitgliedern der Neuen Secession nichts anderes zu sehen als eine Horde von Stümpern, von Leuten, die durch billigen Bluff ihr Nichtskönnertum verdecken wollen.“ (Die Kunst für alle, 1914, S. 278–280) Der Tenor der Kritik an der Moderne ist mehrfach überliefert, was etwa den stets provozierenden Galeristen Herwarth Walden nach Ausstellung des „Blauen Reiter“, der „Futuristen“ und nach dem „Ersten Deutschen Herbstsalon“ in seiner Sturm-Galerie in Berlin veranlasst, ein ironisch sprachentlarvendes „Lexikon der deutschen Kunstkritik“ aus Zeitungsberichten zusammenzustellen. (Flugblatt zum „Ersten Deutschen Herbstsalon“, Berlin 1913; SPK, Handschriftenabteilung)
Auch die progressive, ja radikale Neue Münchener Secession muss sich von Beginn an gegen verbale Angriffe wehren: „Man nennt uns entartet und irrsinnig, Jugendverderber, Unratsverbreiter und Nachschleicher der Kunst unserer Feinde.“ Es sind dies Wortschöpfungen, die 20 Jahre später ab 1933 zu Argumenten für den unerbittlichen Kampf gegen die Moderne werden sollten. [MvL]

Eugen Kirchner, In einer modernen Ausstellung, Karikatur, 1915, erschienen in: Fliegende Blätter, München 1915, S. 270.


Die Provenienz

„Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff" hat eine beachtliche Ausstellungshistorie. Nicht nur, dass es 1914 für die Schau der Neuen Münchener Secession ausgewählt wird, auch ist es 1920/21 Teil der ersten großen Retrospektive des Künstlers. In wechselnder Zusammenstellung touren Jawlenskys Werke damals durch Deutschland. Auf wie vielen der zahlreichen Stationen „Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff" zu sehen ist, kann heute nicht mehr rekonstruiert werden. Sicher ist es Ende 1920 im renommierten Frankfurter Kunstsalon von Ludwig Schames und reist von dort weiter in den Nassauischen Kunstverein in Wiesbaden, der die nächste Station der großen Schau im „Neuen Museum" ausrichtet. Die Ausstellung in Wiesbaden wird nichts weniger als ein fulminanter Erfolg. „Lieber, kleiner, großer, Jawlensky Alexey Georgewitsch", schreibt Jawlenskys Agentin Galka Scheyer begeistert am 16. Februar 1921 nach Ascona, „20 Bilder verkauft, 2 noch in Unterhandlung. Ja, mein lieber Freund, ein erster großer Erfolg!!". Auch „Fabry hat fünf Bilder gekauft", jubelt Galka, unter anderem: „Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff".

Beim Künstlerfreund: Edmund Fabry

Edmund Fabry ist kein Geringerer als der Ausstellungsleiter des Nassauischen Kunstvereins. Der Wiesbadener Maler und Architekt ist zugleich ein enger Freund Jawlenskys. „Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff" bleibt offenbar bis zu Fabrys frühem Tod in dessen Besitz. Als der Architekt 1939, gerade 47 Jahre alt, in Folge einer Erkrankung verstirbt, wütet in Deutschland die NS-Diktatur. Fabry gehört zu den Verfolgten, sein Architekturbüro muss er in Folge der Novemberpogrome schließen. Die Witwe Anna Marie ist Halbjüdin, auch sie steht im Fokus der NS-Schergen. Doch schützt sie wohl die 1941 geschlossene Ehe mit dem amerikanischen Staatsbürger Hans-Jürgen Weinschenk, einem langjährigen Bekannten, vielleicht sogar Freund des verstorbenen Ehemanns. Nachdem auch dieser 1949 verstirbt, verkauft die kinderlos gebliebene Witwe ab 1950 Kunstwerke aus Familienbesitz – Paul Klees „Hängende Früchte" beispielsweise, heute im New Yorker Metropolitan Museum of Art (Abb.). Zeitgleich erhält „Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff" einen neuen Besitzer.

Durch Vermittlung von Schenck zu Schweinsberg zu Hans Lühdorf

Wieder spielt eine bekannte Wiesbadener Persönlichkeit eine Schlüsselrolle: Eberhard Freiherr Schenck zu Schweinsberg. Der Freiherr, 1929 der erste hauptamtliche Direktor der Gemäldegalerie Wiesbaden und als Vorsitzender des Nassauischen Kunstvereins gewissermaßen einer der Nachfolger Fabrys, ist ab 1948 wieder in Wiesbaden ansässig. Gut vernetzt wie er ist, betätigt er sich hier und da auch als Kunsthändler. Im Sommer 1950 vermittelt er das Gemälde „Dunkler Kopf" von der Witwe Fabry an den Düsseldorfer Juristen und Kunstsammler Hans Lühdorf. Ohne Zweifel ist „Dunkler Kopf" identisch mit „Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff", denn das Bild wird in der Ankaufskorrespondenz umfangreich beschrieben.
Nun ist „Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff" also beim nächsten Kenner. Denn wie zuvor Fabry, so kann sich auch Lühdorf zum engen Kreis des Künstlers zählen. Nachdem der Besuch der Ausstellung "Entartete Kunst" seine Begeisterung für den Expressionismus weckte, besucht Lühdorf, damals am Mainzer Landgericht, in den Jahren 1940 und 1941 immer wieder den bereits schwer kranken Jawlensky. Mit „Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff" kann sich Lühdorf ein Jahrzehnt später endlich seinen Wunsch nach einem Werk aus der Frühzeit des Meisters erfüllen.
Während Hans Lühdorfs Grafiksammlung nach dem Krieg als Schenkung in das Kunstmuseum Düsseldorf gelangt, bleibt der eindringliche „Dunkle Kopf" immer bei ihm und wird erst 1984 aus dem Nachlass verkauft.
So sind mit „Kopf in Bronzfarben – Bildnis Sacharoff" gleich zwei enge Freunde des Künstlers verbunden, die zwei Lebensphasen Jawlenskys begleiten: Edmund Fabry und Hans Lühdorf. Es sind zwei Sammler, die um das Wollen und Streben des Künstlers wissen und seine Wege verstehen. Nun besteht die Gelegenheit für einen neuen Sammler, diese seltene kennerschaftliche Besitzerreihe fortzuführen. [AT]



124001355
Alexej von Jawlensky
Kopf in Bronzefarben – Bildnis Sacharoff, 1913.
Öl auf Papier, auf Malkarton kaschiert
Schätzpreis: € 1.500.000 - 2.500.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.

 


München
Hauptsitz
Joseph-Wild-Str. 18
81829 München
Tel.: +49 (0)89 55 244-0
Fax: +49 (0)89 55 244-177
info@kettererkunst.de
Hamburg
Louisa von Saucken / Christoph Calaminus
Holstenwall 5
20355 Hamburg
Tel.: +49 (0)40 37 49 61-0
Fax: +49 (0)40 37 49 61-66
infohamburg@kettererkunst.de
Berlin
Dr. Simone Wiechers / Nane Schlage
Fasanenstr. 70
10719 Berlin
Tel.: +49 (0)30 88 67 53-63
Fax: +49 (0)30 88 67 56-43
infoberlin@kettererkunst.de
Köln
Cordula Lichtenberg
Gertrudenstraße 24-28
50667 Köln
Tel.: +49 (0)221 510 908-15
infokoeln@kettererkunst.de
Baden-Württemberg
Hessen
Rheinland-Pfalz

Miriam Heß
Tel.: +49 (0)62 21 58 80-038
Fax: +49 (0)62 21 58 80-595
infoheidelberg@kettererkunst.de
Keine Auktion mehr verpassen!
Wir informieren Sie rechtzeitig.

 
Jetzt zum Newsletter anmelden >

© 2025 Ketterer Kunst GmbH & Co. KG Datenschutz Impressum