Auktion: 545 / Evening Sale am 08.12.2023 in München Lot 54


54
Karl Schmidt-Rottluff
Landschaft (Garten), 1919.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 400.000
Ergebnis:
€ 508.000

(inklusive Aufgeld)
Landschaft (Garten). 1919.
Öl auf Leinwand.
Mitte rechts in der Darstellung signiert. Verso signiert und betitelt "Garten". 76 x 89 cm (29,9 x 35 in).
Weitere Werke aus der Sammlung William Landmann werden in unserem Modern Art Day Sale am Samstag, den 9. Dezember 2023 sowie im Rahmen unserer Online-Only-Auktion vom 15.11. bis 10.12.2023 angeboten.

• Gemälde aus der 2. Hälfte der 1910er Jahre sind auf dem internationalen Auktionsmarkt von großer Seltenheit: Bisher wurden lediglich sechs Gemälde angeboten (Quelle: artprice.com).
• In der Betrachtung von Mensch und Natur findet Schmidt-Rottluff im Nachkriegsjahr zu einer größeren Sensibilität und einem ganz neuen Vertrauen in die Farbe.
• Im Entstehungsjahr heiratet Karl Schmidt-Rottluff die Fotografin Emy Frisch.
• Seit über 100 Jahren Teil derselben Privatsammlung.
• Die Provenienz des Gemäldes ist Abbild der bewegten deutschen Geschichte.
• Im Original-Künstlerrahmen.
• Aus Sammlung William Landmann, Kanada
.

PROVENIENZ: Das Kunsthaus Herbert Tannenbaum, Mannheim.
Sammlung William (Dr. Wilhelm) Landmann (1891-1987), Mannheim/Amsterdam/Toronto (in den frühen 1920er Jahren vom Vorgenannten erworben).
Sammlung Martin Landmann (1923-2021), Vancouver, Kanada (vom Vorgenannten erhalten).
Seither in Familienbesitz.

AUSSTELLUNG: Kunsthandlung Alfred Heller, Berlin (wohl 1921, mit dem abgelösten Etikett).
Stedelijk Museum, Amsterdam (Juli 1939-1946 als Leihgabe aus der Sammlung Landmann).
European sculpture and painting from the collection of William Landmann, Toronto, Art Gallery of Ontario, Toronto, 18.10.-17.11.1946.
The Wilhelm Landmann collection, Art Gallery of Ontario, Toronto, Dezember 1948.
The Schon and Landmann collections, Art Gallery of Ontario, Toronto, 4.-27.3.1949.
Für die Kunst! Herbert Tannenbaum und sein Kunsthaus. Ein Galerist - seine Künstler, seine Kunden, sein Konzept, Reiß-Museum, Mannheim, 11.9.1994-8.1.1995, Kat.-Nr. 256 (m. Farbabb. S. 81).

LITERATUR: Will Grohmann, Karl Schmidt-Rottluff, 1956, S. 264 und S. 290.
R.H. Hubbard, European Paintings in Canadian Collections II. Modern Schools, Toronto, 1962, S. 118 (S-W Abb. Tafel LVII).
Unterlagen zur Einlagerung / Leihgabe der Sammlung Landmann, Archiv des Stedelijk Museum Amsterdam, Ordner 707.
Ausstellungsliste von 1946, 1948, 1949, Archiv der Art Gallery of Ontario, Toronto.



Neue künstlerische Kraft
Die Sommermonate von Juni bis September 1919 verbringt Schmidt-Rottluff mit der Fotografin Emy Frisch, seit 21. März seine Ehefrau, wie schon während der Kriegsjahre an der Ostsee im Örtchen Hohwacht. Der Künstler malt hier eine Reihe von wichtigen Bildern, so auch das "Selbstporträt mit Hut" und das Emy-Bildnis als Pendant dazu. Weitere Bilder, die diesen sandigen Boden als Bühne für die Szenerien vorweisen, sind zum Beispiel "Juniabend", "Frauen am Meer" oder "Frauen im Grünen", in denen seine Frau Emy neben einer weiteren Person, etwa der Kunsthistorikerin und Mäzenin Rosa Schapire, im Zentrum des Motivs steht. Aber auch romantische Mondschein- und Küstenlandschaften mit schreitenden und meditierenden Frauen; oder wie hier ganz pur, nur die ausgeglichenen und geschlossenen Formen der Natur, die Weite der Dünen-Landschaft darstellend, die den Himmel mit einschließt und dem Kreatürlichen Platz zum Atmen lässt, Raum zum gedanklichen Verweilen gibt. "Ich bin ja mit diesem Sommer, der mit einer lastenden Melancholie einen allzu empfänglichen Boden fand, sehr wenig zufrieden. Die ganze Qual der Kriegsjahre wirkte so sehr nach, dass ich mich noch gar nicht davon befreien konnte und mich dabei gegen die Arbeit sehr schwach fühlte. Etwas Vertrauen zur Farbe habe ich wiedergewonnen – das mag auch alles sein", schreibt Schmidt-Rottluff am 28. August 1919 aus Hohwacht an seinen Freund und Sammler, den Kunsthistoriker Wilhelm Niemeyer. (Zit. nach: Gerhard Wietek, Schmidt-Rottluff in Hamburg und Schleswig-Holstein, Neumünster 1984, S. 62.)

Der Gegenstand wird zur malerischen Form
Dieses Bekenntnis verstärkt den melancholischen Anschein, den der Künstler mit dem Blick auf die ihn umgebende Natur an einem hellen Sommertag in harmonischer Farbpalette zum Ausdruck bringt. Komplementäre Kontraste in weichen Abstufungen füllen die Flächen dieses eng gewählten Ausschnitts einer Landschaft unweit der Ostsee. Es herrscht eine Harmonie zwischen den Geraden und Kurven, den Flächen und Körpern der Pflanzen wie nie zuvor. Hier sind die Elemente der Landschaft wirklich zu reinen Zeichen geworden: die reckenden Linien der kargen Baumäste mit auffallendem Blattwerk, die umrandenden Kurven der großblättrigen, blauen Pflanze neben anderem Buschwerk am Rande eines Grünstreifens mit auffallender Zickzack-Binnenzeichnung, der wiederum von einer rustikalen Natursteinmauer begrenzt ist. Schmidt-Rottluff gelingt eine Verzahnung von Aussage und Mittel, die er mit dem Vorrat seiner bildnerischen Mittel konsequent ausbaut, mit jenen Flächenformen in komplementären Farben. Seine Erfahrung, die er mit den expressiven Holzschnitten macht, die gegen Ende des Krieges entstehen, ist hier hilfreich: harte Flächen und ihre komplementären Kontraste in Schwarz-Weiß. Was hiervon bleibt, überträgt Schmidt-Rottluff in einen ausdrucksbetonten Flächenstil. Dies gibt Raumtiefe, aufgebaute, an Paul Cézanne erinnernde Landschafts-Schichtungen in die Tiefe. Und dennoch ist die Unendlichkeit im Bild endlich geworden, der mit gelblichem Ocker gefärbte Himmel über der Steinmauer ist ‚Wand‘, und seine Farbe bedeutet nicht Ferne, sondern das spiegelnde Licht der Sonne. Das irdische Braun wird gelegentlich auf den Lichtraum projiziert und das ätherische Blau auf der Erde ist rosa. Der Kunsthistoriker und erste Verfasser eines Catalogue raisonné für Schmidt-Rottluff, Will Grohmann, sieht deutlich, was die französischen "Fauves" mit einer farbigen Flächen- und Zonenmalerei im übertragenden Sinn propagieren: "Raum kann auch in der Fläche beglichen werden, Farbe nur symbolisch sein, Körper nur plastisch, wenn der Maler sie seinem Entwurf der Welt richtig integriert. Mit dem Entwurf aber wächst die Zahl der Mittel und die Sicherheit ihrer Verzahnung." (Will Grohmann, Karl Schmidt-Rottluff, Stuttgart 1956, S. 24) Die schwarzen Konturen helfen den benachbarten Zonenfarben eine Verbindung herzustellen; sie hat aber weder mit dem Gegenstand noch seiner Projektion zu tun, sondern ist malerische Form, die zwischen Gegenstand und Raum vermittelt, die dingliche Isolierung aufhebt, in die Fläche einbezieht und einen gestuften Bildraum bewirkt. Letzten Endes aber ist der ganze Lauf des Tages mit Morgen und Abend in dieser puren Landschaft beschlossen; eine Erfahrung, die Landschaft und Meer des Nordens lehren, selbst dieser herrliche Tag ist niemals nur Tag. [MvL]

Dr. William Landmann – bewegte Geschichte einer bedeutenden Sammlung

Nur wenige der großen jüdischen Kunstsammlungen können die nationalsozialistische Diktatur geschlossen überdauern. Umso bemerkenswerter ist die Geschichte der Kunstwerke aus dem Eigentum des Dr. Wilhelm Landmann aus Mannheim. Wilhelm Landmann kommt 1891 in Schifferstadt zur Welt. Im Kreise seiner elf Geschwister gilt er stets als der „Intellektuelle“. Seine Studien der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften schließt er darum auch gleich mit zwei Doktortiteln ab. Die Studienzeit verlebt er gemeinsam mit einem nicht weniger bedeutenden Freund: Herbert Tannenbaum (1892–1958). Die Biografien beider bleiben zeitlebens eng verwoben.

Für Tannenbaum wie für Landmann wird 1920 ein Schlüsseljahr. Herbert Tannenbaum eröffnet in Mannheim seine avantgardistische Kunstgalerie „Das Kunsthaus“, aus der im kommenden Jahrzehnt auch der wesentliche Teil der Sammlung seines besten Freundes Wilhelm hervorgehen wird. Wilhelm seinerseits wird, auch dies geschieht im Jahr 1920, Teilhaber der Firma seines Bruders Paul, der renommierten „Graphischen Druckanstalt Paul Isidor Landmann“ in Mannheim. Im gleichen Sommer heiratet er Julie Herbst. Die Tochter eines bekannten Korsettfabrikanten aus Mannheim hat er während des Studiums kennengelernt.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten geraten die Landmanns – sowohl Wilhelm als auch seine Frau Julie sind jüdischer Religionszugehörigkeit – zunehmend unter Druck. Schon bald ist klar, dass sie ihre Heimat verlassen müssen. Julies Schwester lebt mit ihrem Ehemann, dem ebenfalls als Kunstsammler bekannten Otto Wachenheim, bereits seit Jahren in den Niederlanden. Das Ziel der Emigration ist damit schnell gefunden. Im Frühjahr 1936 fliehen Wilhelm, Julie und die beiden Söhne nach Amsterdam. Auch Tannenbaums folgen den Freunden zum Jahresende. Eine kleine, kunstaffine Emigrantengemeinde bildet sich in Amsterdam, auch mit den Malern Max Beckmann und Heinrich Campendonk steht man in regem Kontakt. Als Campendonk die Landmanns 1938 in ihrer Wohnung besucht, sieht er dort eine kleine Zeichnung von Franz Marc. Dieses Blatt, so erzählt er es den Landmanns, habe Marc in seiner Anwesenheit gezeichnet.

Auch zu Willem Sandberg (1897–1984), Kurator am Amsterdamer Stedelijk Museum, ab 1938 dessen stellvertretender Direktor und ein großer Förderer der Moderne, haben die Landmanns persönliche Kontakte. Er ist es, der heute als „Retter“ der Sammlung Landmann bezeichnet werden kann. Denn im Juli 1939, kurz vor Kriegsbeginn, übergibt Landmann einen Teil seiner Sammlung dem Museum als Leihgabe. Er übersiedelt nun mit seiner Familie, in dunkler Vorahnung des Kommenden, nach Toronto.

Die Namen, die auf der Übergabeliste der Werke erscheinen, bezeichnen die Koryphäen der deutschen Moderne – Nolde, Dix, Lehmbruck, Grosz, Kokoschka und andere. Auch die hier angebotenen Gemälde von Pechstein, Mueller, Schmidt-Rottluff und Hofer sind aufgeführt. Ein Teil der Sammlung Landmann wird fortan im Stedelijk Museum ausgestellt, der Rest in sichere Verwahrung genommen. Zu den hier angebotenen Gemälden ist im handschriftlichen Inventar der Familie Landmann notiert, dass sie in Amsterdam ausgestellt gewesen seien.

Im Stedelijk Museum kann die Sammlung Landmann die Kriegsjahre in sicherem Schutz überdauern. 1946 erhält Wilhelm Landmann, der sich fortan William nennt, seine Bilder und Skulpturen zurück. Von einigen Werken trennt er sich in der Folge – das Gemälde „Metropolis“ (Großstadt) von George Grosz etwa verkauft er 1946 dem bereits damals hochrenommierten Museum of Modern Art in New York, wo es sich noch heute befindet. Andere Kunstwerke aber behält er in seiner Sammlung, die in den folgenden Jahren mehrfach in der Art Gallery of Ontario in Toronto ausgestellt wird. [AT]



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Karl Schmidt-Rottluff
Landschaft (Garten), 1919.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 400.000
Ergebnis:
€ 508.000

(inklusive Aufgeld)