Auktion: 545 / Evening Sale am 08.12.2023 in München Lot 27

 

27
Alexej von Jawlensky
Mädchen, 1916.
Öl auf leichtem Malkarton
Schätzung:
€ 180.000
Ergebnis:
€ 279.400

(inklusive Aufgeld)
Mädchen. 1916.
Öl auf leichtem Malkarton.
Links unten signiert. 35,5 x 26,2 cm (13,9 x 10,3 in).
Verso mit einer fragmentarisch erhaltenen Ölstudie eines Stilllebens, um 1916.
Die Vorderseite ist mit einem SW-Foto im Fotoarchiv des Künstlers dokumentiert. Das Foto trägt auf dem Unterlagekarton eine Beschriftung von Lisa Kümmel: "Mädchen 1916 36/27" (in Tinte) und "1916.36/27 Mädchen. Kind" (in Bleistift). Zudem bezieht sich vermutlich auch Jawlenskys Eintrag im sogenannten Cahier Noir auf Seite 76 mit der Datierung "1916 N.4" auf die vorliegende Arbeit. [JS].

• Moderne Ästhetik: Faszinierende Balance zwischen Figuration und Abstraktion, formaler Reduktion und maximal befreiter Farbigkeit.
• Außergewöhnlich und wegweisend: Einer der ersten farbgewaltigen Mädchenköpfe, mit denen Jawlensky im Schweizer Exil in luftig-befreiter Malweise seine zentrale Motivik des Bildniskopfes zu neuer Stärke führt.
• Im Fotoarchiv des Künstlers mit einem von Lisa Kümmel beschrifteten Schwarz-Weiß-Foto dokumentiert.
• Geschlossene Provenienz: Aus dem Nachlass des Künstlers in den 1940er Jahren in die Privatsammlung des Malers und Kunstprofessors Heinrich Dieckmann veräußert und seither in Familienbesitz.
• Erstmals auf dem internationalen Auktionsmarkt angeboten (Quelle: artprice.com)
.

PROVENIENZ: Nachlass des Künstlers.
Helene Jawlensky, Wiesbaden (Witwe des Künstlers).
Prof. Heinrich Dieckmann, Köln/Bad Honnef (während des Zweiten Weltkrieges von der Vorgenannten erworben, seither in Familienbesitz).

LITERATUR: Maria Jawlensky/Lucia Pieroni-Jawlensky/Angelica Jawlensky, Alexej Jawlensky. Catalogue Raisonné of the Oil Paintings, Bd. II: 1914-1933, München 1992, S. 118, WVZ-Nr. 747 (m. SW-Abb. der Vorder- und Rückseite).

"Wir mussten nur mit dem, was wir tragen konnten, fliehen nach der Schweiz und kamen in einen kleinen Ort, St. Prex am Genfer See. In unserer kleinen Wohnung dort hatte ich nur ein kleines Zimmer zum Arbeiten mit einem Fenster. [..] Ich fing nun an einen neuen Weg in der Kunst zu suchen. Es war eine große Arbeit. Ich verstand, daß ich nicht das malen mußte, was ich sah, sogar nicht das, was ich fühlte, sondern nur das, was in mir, in meiner Seele lebte."
Alexej von Jawlensky an P. Willibrord Verkade, 12. Juni 1938.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges muss Jawlensky 1914 als russischer Staatsbürger das Deutsche Reich verlassen und flieht von München in die Schweiz. In Saint-Prex am Genfer See findet er mit seiner Familie für die kommenden drei Jahre ein neues Zuhause, und auch für seine Kunst bedeutet dieser private Umbruch einen entscheidenden Wendepunkt. Jawlensky schreibt in seinen Lebenserinnerungen: "Meine Seele war durch vieles Leid anders geworden und das verlangte andere Formen und Farben zu finden, um das auzudrücken, was meine Seele bewegte. Ich fing an, meine sogenannten >Variationen über ein landschaftliches Thema<, die ich vom Fenster sah, zu malen. Und das waren ein paar Bäume, ein Weg und der Himmel. Ich fing an etwas zu malen, um mit Farben auszudrücken, was mir die Natur soufflierte. In harter Arbeit und mit größter Spannung fand ich nach und nach die richtigen Farben und Formen, um auszudrücken, was mein geistiges Ich verlangte." (A. v. Jawlensky, Lebenserinnerungen, zit. nach: C. Weiler, Alexej Jawlensky, Hanau 1970, S. 116). Geradezu besessen erarbeitet sich Jawlensky anhand des Landschaftseindruckes vor seinem Atelierfenster das Vermögen, sein "geistiges Ich" in Form und Farbe auszudrücken. Das Naturvorbild ist für Jawlenskys Kunst nur noch der Katalysator für eine Malerei, die zwar gerade noch gegenständlich ist, dabei aber zugleich ein Maximum an Abstraktion erreicht. In diesem spannungsvollen Zwischenbereich, diesem Changieren zwischen Abstraktion und Figuration liegt bis heute die Unverwechselbarkeit und außerordentliche Modernität von Jawlenskys Malerei. Für Jawlensky selbst ist dieser vorrangig in Saint-Prex in zahlreichen landschaftlichen Variationen ausgelotete und erschlossene Zwischenbereich die individuelle Ausdrucksform, mit der er seinem geistig-emotionalen Empfinden – einem Komponisten gleich – unmittelbar Ausdruck zu verleihen vermag. Als Jawlensky die Klaviatur des geistig-emotionalen Ausdrucks beherrscht, wendet er sich Ende 1915 mit neuer Kraft erstmals wieder seiner zentralen und stärksten Motivik, dem Bildniskopf, zu. Das vorliegene Gemälde "Mädchen (Kind)", das in Jawlenskys Werknotizen mit der Datierung "1916 N.4" verzeichnet ist, ist einer der ersten dieser starken Mädchenköpfe, die Jawlensky in dieser geistig durchdrungenen, maximal befreiten, flächigen Farbigkeit geschaffen hat. Der Fokus liegt allein auf dem frontal ausgerichteten Gesicht, das von einer schwarzen Konturlinie und den Haaren umfangen nur noch eine Art gegenständlichen Rahmen für ein vollkommen freies Spiel aus Form und Farbe bildet. Mit spontanen Pinselhieben hat Jawlensky hier einen leuchtend-fröhlichen Farbklang aus hellen Grüntönen, Gelb, Orange und Magenta vor blau moduliertem Grund niedergeschrieben. Es sind die Farben der Jugend, eines frühlingshaften Erwachens, die in "Mädchen (Kind)" gleichsam zu einem Stimmungsbild für den emotionalen und künstlerischen Neuanfang Jawlenskys in Saint-Prex werden. Darüber hinaus sollte dieser Schritt in entscheidender Weise wegweisend sein für Jawlenskys entindividualisierten "Mystischen Köpfe", seine "Heilandsgesichter" und "Meditationen" der Folgejahre. [JS]



27
Alexej von Jawlensky
Mädchen, 1916.
Öl auf leichtem Malkarton
Schätzung:
€ 180.000
Ergebnis:
€ 279.400

(inklusive Aufgeld)